GOR 2010 Splitter: Situative Nutzung von Medienkanälen beachten

Kategorie: Markt- und Mediaforschung — Tags: , , , 10:35 15. Juni 2010

Bei einem Gespräch auf der GOR im Mai 2010 hatte ich – wieder einmal – eine Unterhaltung, wie Unternehmensentscheider mit neuen Medien umgehen. Entweder sie ignorieren diese noch neue Medienkanäle wie Social Media oder verstehen mobiles Internet nicht als neuen Kanal. Im Falle der „Entdeckung“ soll „dann eben mal schnell alles auch“ im neuen Kanal dargestellt werden. Nicht dass ich dafür eintrete, das jedes Angebot  jeden Kanal bedienen muss. Aber die Entscheidung, ob man einen Medienkanal bedient oder nicht, sollte sachlich getroffen und nicht mit einem emotionalen „den Mist, den meine Tochter nutzt, brauch ich doch für mein Unternehmen nicht“ abgetan werden. Ebenso sollte das Bewusstsein vorhanden sein, das neue Medienkanäle neue Nutzungssituationen hervorbringen.

Im Beispiel: Alles was im Internet am PC geht soll doch bitte schön auch auf dem Smartphone gehen. Darunter auch: Videos mit einer Länge von 10 Minuten. Das Angebot ist ein Hobby-Spaß-Interesse Angebot, dem man am PC gerne mal eine längere Surfsession einräumt. Der Auftrag ans Marketing des Entscheiders ist also: wir wollen jetzt auch auf der mobilen Internetplattform vertreten sein. Spiegele bitte den „PC-Internet“ Auftritt.

Ist der Genuss des Videos mit tollem Sound tatsächlich derselbe am Heim-PC und am Smartphone? Die deutsche Telekom präsentiert in Ihrem WM Spot ein Beispiel dazu. Johannes hat den „Auftrag“, die WM mit dem Smartphone zu Menschen zu bringen, die sie sonst verpassen würden. Schön gesagt, denn es scheint vollkommen klar, der Johannes macht das nur gegen Geld! Ansonsten würde er sich vor seinen brandneuen 108 cm bildschirmdiagonalen 3D LED Fernseher setzen und die Vuvzeelas aus den Boxen tröten hören wollen. Oder zum Public Viewing mit Freunden gehen. Das Gucken auf dem Mobiltelefon ist diesen Erlebnissen nicht gleichwertig – aber immerhin – ich sehe was. Nun ja, man kann sich sicher darüber streiten, ob ein Fensterputzer am 20. Stock wirklich auf einen Bildschirm schauen sollte? Die Radioübertragung wäre die angemessene und bei Leibe nicht unemotionale passende Rezeptionsvariante – könnte er dabei doch tatsächlich auch noch Fenster putzen…

Es scheint mir bei Unternehmensentscheider zuweilen folgende Kurzschlusslogik vorzuliegen: als Nutzer ist es wunderbar, Angebote über diverse Medienkanäle nutzen zu können. Der Nutzer nutzt das Angebot mit einer kleinen Unterbrechung auf den unterschiedlichen Kanälen stets aus derselben Intention heraus.

Jedoch ersetzt ein neues Medium äußerst selten die bestehenden. Folglich deckt ein neues Medium – mindestens zum Teil – andere Nutzungssituationen ab. Wenn aber die Nutzungssituation anders ist, wird das inhaltliche Interesse ebenfalls ein anderes sein. Die Steuerung und Intention ist damit nicht immer dieselbe, sondern situativ angepasst.

Nehmen wir als Beispiel die Webseite der Bahn. Zuhause am PC informiert man sich über Reisemöglichkeiten, bucht womöglich eine Zugverbindung. Während dessen interessiert man sich unterwegs am Smartphone ob etwa Zugverspätungen vorliegen. Sicher würden sich bei einer Analyse deutliche Unterschiede zwischen den Nutzungsintensionen „zuhause“ und „unterwegs“ ergeben. Der mobile Auftritt sollte also als neuer Medienkanal verstanden werden. Entsprechend sollte diesem eine eigene auf die mobile Nutzungssituation angepasste Struktur geschneidert werden.

Vorab lohnt es sich – ich empfehle qualitativen Methoden, es geht um das Verständnis –  zu untersuchen, in welchen Nutzungssituationen die Zielgruppe das Angebot auf welchen Medienkanälen nutzt. Nur dann kann ein integriertes und für den Nutzer einfach zu nutzendes Angebot kanalgerecht präsentiert werden. Für den Nutzer nicht sinnvolle Spiegelungen irritieren und führen zur Minderung der Nutzerfreundlichkeit des Medienkanals. Eine für Heim-PC-Internet optimierte Webseite wird bei der mobilen Nutzung mit Sicherheit an Nutzerfreundlichkeit einbüßen und so dem Nutzeranspruch nicht in gleichem Maße gerecht werden können.